Flaggschiff ohne Anker
In Wyhl wird seit 2016 die Zukunft der Altenpflege erprobt. Das "stambulante" Wohnen ist in der Praxis ein Erfolg, im Gesetzbuch aber immer noch ohne Grundlage.
Datum: 11.03.2021 / Ressort: Versorgung, Krankenhaus
Ein Zuhause im Heim. In Wyhl ist das kein Widerspruch, sondern Realität im Haus Rheinaue der BeneVit Gruppe. 56 Menschen mit kleinem oder großem Pflegebedarf haben hier ein individuell durchdachtes Zuhause gefunden – in vier Wohngemeinschaften mit 13 bis 15 Seniorinnen und Senioren. In jeder Gemeinschaft nutzen sie Küche, Wohn- und Esszimmer gemeinsam. Hinzu kommen Café, Therapieräume und ein Raum für Feste, Feiern, Gottesdienst.
Rheinaue ist keine typische Pflegeeinrichtung und auch kein betreutes Wohnen. „Stambulant“ trifft es am besten. Denn hier verbinden sich die Vorteile des stationären Wohnens und die Vielfalt der ambulanten Pflege. Die Bewohnerinnen und Bewohner kochen mit, helfen im Garten oder kümmern sich um die Wäsche. „Wer eine Aufgabe hat, lebt länger“, sagt Kaspar Pfister, Geschäftsführer der BeneVit Gruppe. „Die alltäglichen Arbeiten schaffen Struktur und Sinn. Das hält mobil und die Pflege rückt ein Stück weit in den Hintergrund.“ Es gibt rund um die Uhr eine Pflegefachkraft, auch für die Behandlungspflege. Tagsüber übernehmen Präsenzkräfte die Rolle von pflegenden Angehörigen, helfen in der Grundpflege, führen den Haushalt und gestalten den Tag gemeinsam mit den Senioren.
Zum Grundpaket lassen sich Wahlleistungen für weitere Maßnahmen der Behandlungspflege, Grundpflege, Haushalt, aber auch Betreuung buchen, die von ambulanten Diensten erbracht werden, so wie es eben in einem Zuhause möglich ist. Auch Angehörige können Aufgaben übernehmen und dafür Pflegegeld erhalten. In der Praxis funktioniert das seit 2016 sehr gut. Die Zufriedenheitswerte der Bewohnerinnen und Bewohner sind hoch und ihr Gesundheitszustand gut. Doch ist das Haus Rheinaue ein Modellvorhaben – ohne rechtliche Verankerung, um das Konzept auch auf andere Häuser und Träger übertragen zu können.
Die AOK Baden-Württemberg, die das Projekt von Anfang an begleitet und stellvertretend für alle Kassen mitentwickelt hat, ist die Einzige, die einen Vertrag nach der Logik der Integrierten Versorgung abgeschlossen hat. Anderen Kassen fehlt die gesetzliche Grundlage, obwohl sie das Konzept befürworten. „Als Modellvorhaben können wir nur noch bis Ende 2022 weitermachen“, so Pfister. Dabei sei die Nachfrage der Kommunen groß. BeneVit habe weitere Häuser in Planung, dafür sogar Baugenehmigungen und brauche jetzt eine Entscheidung. Die Hoffnung liegt auf der bevorstehenden Pflegereform. „Ohne rechtliche Sicherheit wird es keine weiteren Investitionen geben. Die Politik muss jetzt Nägel mit Köpfen machen.“
Dieser Text ist nachzulesen im Agenda Gesundheit Magazin Ausgabe 01/2021.